Stella Geppert
Unabhängig von der Lage, 2009 / Cuxhavener Kunstverein // (Detailansicht)
Lamellenvorhänge der Galerie, Deckenbeleuchtung und Deckenkonstruktion des Cuxhavener Kunstvereins, Rigips, Kabelbinder, Elektrokabel, Acryl
Unabhängig von der Lage, 2009 / Cuxhavener Kunstverein //
Lamellenvorhänge der Galerie, Deckenbeleuchtung und Deckenkonstruktion des Cuxhavener Kunstvereins, Rigips, Kabelbinder, Elektrokabel, Acryl
Ohne es zu merken, 2009 / Cuxhavener Kunstverein //
Besen, Alurohr (Maße variabel), Grafit, Zeichnungen an der Decke und an der Wand
Ohne es zu merken, 2009 / Skulpturi DK, Kopenhagen, Dänemark //
(Detail) Grafit, Zeichnungen an der Decke
Bist du da?, 2007 / Künstlerhaus Bremen //
Acrylspiegel, Holzlatten, Rigipswände der Galerie
Ohne hier ohne da, 2008 / Unten Drunter, Malmö, Schweden //
Fahrrad des Kurators, Teppich und Neonröhren der Galerie, Latten von vorherigen Ausstellungen, Schild „Blockieren verboten“. Der Raum dient außerhalb der Ausstellungszeit als Fahrradkeller
Parasitäre Verhältnisse und Dialoge, 2002 / U2 – Alexanderplatz, Berlin //
62 Polster, Metall, Lack
SB Deine Installationen bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen Bildhauerei und Architektur und sind doch keiner
der beiden Gattungen klar zuzuordnen. Abhängig vom Betrachterstandort erscheinen sie als architektonisches Element, zum
Teil als plastisches oder als bildhaftes Moment.
SG Bildhauerisches Arbeiten verstehe ich als einen Prozess, der sich aus den im Raum vorherrschenden körperlichen
Handlungen und Verhaltensweisen wie auch architektonischen Beziehungen heraus bildet, Bewegungen motiviert und Bilder
generiert. In meiner Arbeit werden die Raumelemente verschoben und „sie bewegen sich“ zwischen künstlerischem Eingriff
und tatsächlichen Begebenheiten. Standorte und Sichtweisen geraten in Aktion. In dem Moment oszillieren die Definitionen
und werden neu bestimmt. Ich fasse den Raum als einen sich stets in Bewegung befindlichen, sich neu konfigurierenden auf.
Auch wenn ich ganz konkret mit ihm als Material arbeite, untersuche ich ihn über seine physische Materialität hinaus.
SB Skulptur und Installation koexistieren bei dir friedlich, oft sogar in einer Wechselwirkung. Deine installativen Werke
sind häufig ortsspezifisch und nehmen konkrete Faktoren ihrer räumlichen Umgebung auf bzw. reagieren auf sie. Wie näherst
du dich den Räumen, für die du diese Installationen entwickelst?
SG Diese friedliche Koexistenz entsteht dadurch, dass ich bei der Entwicklung von skulpturalen und installativen Arbeiten
von gegebenen Strukturen ausgehe, die in den Gegenständen sowie in den Räumen vorhanden sind. Sie sind an
Gebrauchsspuren ablesbar und anhand von Nutzungsgeschichten rekonstruierbar. Wie eine Feldforscherin versuche ich
Wesenszüge eines Raumes herauszukristallisieren. Konkret verfolge ich Spuren und Strukturen durch das Begehen der
Räume und deren Umfeld. Akribisch genaue fotografische Notizen und Gespräche mit den Personen, die den Ort nutzen,
prägen mich dabei. Rückblickend betrachtet greifen fast alle meine Rauminstallationen ehemalige Nutzungsformen,
vorgefundene Arbeitsbedingungen oder Produktionsstätten, die ich vor Ort ausfindig mache, auf. Dies wird in der Arbeit
„Ohne hier ohne da“ besonders augenfällig. Im Ausstellungsbudget waren keine Transportkosten vorgesehen und so reiste
ich ohne Material an. Da ich mich während der drei Tage des Ausstellungsaufbaus mit dem Fahrrad des Kurators
fortbewegte und der Raum außerhalb der Ausstellungszeiten als Fahrradkeller genutzt wird, kam mir die Idee, das Fahrrad
für die Installation zu verwenden. Es bildete die Basis meines Eingriffes, auf die weitere Gegenstände gesetzt wurden: Der
normalerweise ausgerollte Teppich der Galerie zeigte in der ausgestellten Form auf beide Eingänge des Raumes – eine
einstige Damen- und Herrentoilette – und war zwischen den Raumwänden verkeilt. Die Leuchtstoffröhren der Galerie
schließlich bildeten den Abschluss der sorgfältig gestapelten Lattenformation.
SB Und wie bist du bei der Entwicklung von „Unabhängig von der Lage“ vorgegangen?
SG Anders als sonst war ich selten vor Ort und so spielte ich verschiedene Variationen in meinem Atelier im Modell
durch. Dabei konzentrierte ich mich auf die charakteristischen Elemente des Ausstellungsraumes: Das Raster der Decke, die
Lichtkonstruktion und die Lamellenvorhänge. Während der Entwurfsphase irritierte mich eine Fläche an der Decke, an der
die typische Rasterung fehlte. Dem ging ich nach und erfuhr, dass sich dort ein Durchgang bis in das darüberliegende
Stockwerk befand. Ich ließ daraufhin die Rigipsplatte entfernen und somit wurde ein Schacht in den Ausmaßen von
140cm×140 cm sichtbar. Er führte genau eine Etage höher. Fünf Deckenleuchten und zwei Lamellenvorhänge versetzte ich in
verschiedenen Abständen bis unter die Decke des nächstliegenden Stockwerkes. Teile der unteren Decke besserte ich mit
neuen, im Kassettenmusterformat zugeschnittenen Rigipsplatten aus. In dieser Arbeit wird dekonstruiert und konstruiert
zugleich.
SB Ein wiederkehrendes Moment deiner Installationen ist, dass sie sowohl klar erkennbare als auch verborgene Strukturen
aufnehmen. Mittels deiner Eingriffe werden diese erst bewusst oder tatsächlich sichtbar. „Bist du da?“ spielt ebenfalls sehr
stark mit dem Moment des Freilegens und dem gleichzeitigen Entziehen durch Rückspiegelung, mit Schein und Sein,
Realität und Reflexion. Was birgt dieser Ansatz für dich?
SG Das Aufzeigen und Durchdringen von räumlichen Strukturen, der Schein und die reale Materialität atmosphärisch
gestimmter Räume, sind in meiner Arbeit schon sehr früh angelegt. Eine der ersten, den architektonischen Raum
thematisierenden Arbeiten ist „Entfestigung“. In ihr werden die Stockwerke eines Wohnhauses durch eine überdimensional
große, bettdeckenähnliche Form, die aus allen Fenstern quoll, scheinbar überwunden.
In „Bist du da?“ verwende ich eine für die vorherige Ausstellung eingezogene Wand mitsamt der Tür und durchbohrte die
fest installierten Rigipswände des Künstlerhauses. Hinter den Platten befand sich eine komplette Fensterfront. Rigipsplatten
können zwar eine Fensterfront verkleiden, aber sie bleibt trotzdem anwesend und durch die Resonanz der Schritte im Raum
spürbar. In „Bist du da?“ mache ich diese stellenweise sichtbar. Das Besondere der Installation ist, dass der Betrachter sich
durch den Raum bewegend wahrnimmt und sich gleichzeitig von oben sowie von unten betrachten kann. Das Nachspüren
von Raum konstituierenden Momenten ist in dieser Arbeit durch die Bewegung im Raum am intensivsten erlebbar.
SB Verdeckst oder enthüllst du lieber?
SG Auf die Dosierung des Aufdeckens und Enthüllens kommt es an.
SB Bei deinen jüngeren Raumarbeiten, wie „Nowhere is Everywhere“, „Unabhängig von der Lage“ und „Bist du da?“,
greifst du zu Spiegeln, die zusätzlich stellenweise durchlöchert werden. Wie kommt es zu der Wahl dieses speziellen, aber
auch bedeutungsträchtigen Werkstoffes?
SG Ich habe mich zu der Zeit mit den Raumdefinitionen von Deleuze und Guattari auseinander gesetzt. Die Beschäftigung
mit dem „glatten und gekerbten Raum“ hat mich angeregt, durchlöcherte Spiegel zu entwickeln. Die entfunktionalisierten
Spiegel reflektieren Körper- bzw. Raumfragmente und lassen reale sowie illusionistische Raumzusammenhänge zu einer
Collage verschmelzen. Auch beim Schauen durch eine Deckenöffnung verschränken sich die Ebenen optisch, so dass
Distanzen nur schwer ermittelbar sind. Die räumlichen Lagen ziehen sich zusammen. Der Raum erfährt eine Weitung und
Komprimierung zugleich.
SB Auch bei den formal als plastisch zu bezeichnenden Arbeiten führst du Raumstudien durch: Ein Besen wird mit eine
Stück Grafit versehen, so dass er die komplette Raumhöhe überbrückt. Anschließend kehrst du den Boden mit diesem
Objekt und erzeugt eine Zeichnung an der Decke, die deine Bewegungen visualisiert und ihnen gleichzeitig Grenzen setzt.
Du spielst mit den Sehgewohnheiten der Menschen und überraschende räumliche wie skulpturale Eindrücke entstehen.
SG Für mich ist das Besondere an der Arbeit, dass sich beide Tätigkeiten im Laufe der Handlung gegenseitig bedingen.
Das Ritual des Fegens findet statt und wird gleichzeitig in den Raum eingeschrieben. Die Rhythmik des Reinigens bildet
sich als eine staccatohafte, freie Zeichnung ab. Da, wo der zusammengekehrte Schmutzhaufen entsteht, ist jedoch keine
Markierung an der Decke. Da wir permanent Handlungen vollziehen, durch die wir ganz unbewusst, kontinuierlich Raum
generieren und uns in den Raum einschreiben, gab ich der Arbeit den Titel „Ohne es zu merken“.
SB In „Ohne es zu merken“ begegnen wir dem Aspekt des Performativen, der in deinen Arbeiten häufig mitschwingt. Was
mich an deinem Werk fasziniert, ist der prozesshafte Umgang mit dem Raum. Du greifst die Funktion von Orten auf und
thematisierst die dort stattfindenden Bewegungen, jedoch fixierst du sie nicht, sondern schaffst Grundlagen, um neue
Dynamiken zu initiieren. Du gibst den Anstoß zur Neuorientierung.
SG Übergeordnet interessiert mich stets die Art, wie wir uns physisch und psychisch Raum aneignen und uns in ihm
verorten, um uns in gesellschaftlichen Zusammenhängen ausdrücken und orientieren zu können. Es ist nie „copy and
paste“, sondern immer „enter and change“. Genau genommen werden in meinen Arbeiten Verhaltensmuster hinterfragt und
konkret räumlich verhandelt – wenn auch nur für einen Augenblick.
So zum Beispiel in der Arbeit „Parasitäre Verhältnisse und Dialoge“ im Bahnhof U2-Alexanderplatz in Berlin: Dort
installierte ich an zuvor von mir eruierten Stellen des beiläufigen Anlehnens je nach Anlehnungsdichte unterschiedlich große
Polster. Die durch ihre reine Funktionalität bestimmte, öffentliche Architektur wurde durch das Hervorheben privater Gesten
unterwandert. Die von den Passanten intuitiv verwendeten Polster und ihre damit verbundenen veränderten
Verhaltensweisen, des Lümmelns, des sich gegenseitig Beobachtens usw., luden den Raum kommunikativ auf und
definierten ihn somit neu.
SB Die Cover-Abbildung des Kataloges ist ein sehr passendes Beispiel für deinen freien Umgang mit dem Raum, mit de
zweidimensionalen sowie dem dreidimensionalen. Bei „Both at the Same Time “ verorten sich die Fingerabdrücke mittig
auf einem flachen Blatt Papier und gliedern es. Gleichzeitig bilden sie die Punkte, an denen das Papier an der Wand
befestigt wird. Sie stellen die Scharnierstelle, an der sich das Blatt nach vorn in den Raum wölbt, dar. Das Papier wird zum
Träger in dem und durch den sich Raum entfaltet.
SG Bei dieser Arbeit habe ich einfache Umgangsformen mit einem Blatt Papier durchgespielt. Eigentlich wollte ich
abbilden und herausgekommen ist eine klassische Form des bildhauerischen Abdrucks. Die Geste des Abdrucks und des
Andrucks verursacht hier eine sich selbst offenbarende räumliche Setzung.
SB Der Rezipient deiner Arbeiten wird immer wieder auf Spurensuche durch dein künstlerisches Werk geschickt. Du legst
ihm eine Fährte durch Fingerabdrücke, durchlöcherte Spiegel oder eine Grafitzeichnung an der Decke und lässt
ihn so an Raumerkundungen aktiv teilhaben.
SG Wenn sich Bewegungsabläufe durch eine Arbeit verdichten, raumbildende Momente entstehen und sie auf den
Betrachter und den jeweiligen Raum rückwirken, dann können meiner Meinung nach erst Sehgewohnheiten zu existenziellen
räumlichen Erfahrungen umgewandelt werden. Das ist ein wesentlicher Ansatz meiner künstlerischen Tätigkeit.
SB Auch die Kataloge „ach so“ und „Unabhängig von der Lage“ nehmen deinen spielerischen wie experimentellen
Umgang mit „Raum“ auf. In der konzeptionellen Gestaltung drückt sich die deinen Arbeiten innewohnende Dynamik
aus. Kaffeefleck und Fingerabdruck fordern unseren kriminalistischen Spürsinn heraus. Subtiler Humor und formale Strenge
liegen sowohl bei deinen Publikationen als auch in deinen Arbeiten nah beieinander.
SG Der Kaffeefleck stört. Er greift alltägliche beiläufige Handlungen auf und markiert die Stelle, an der mittels der Tasse
„Platz eingenommen“ wurde. Der Katalog wird so zum Gebrauchsgegenstand. Der Benutzer des Kataloges gerät
in Versuchung, die Spuren seiner eigenen Nachlässigkeit zuzuschreiben. Die Autorenschaft dieser Aktion möchte geklärt
werden und leitet das Verfolgen der Handlungen ein. Bei „Both at the Same Time “ treten die Fingerabdrücke zunächst als
schwarze organische Punkte in Erscheinung. Es dauert einen Moment bis die Spur aufgenommen wird.
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1967
geboren in Niedersachsen, lebt und arbeitet in Berlin
1993 - 1999
Studium der Bildenden Kunst an der Hochschule der Künste, Berlin
2010
Arbeitsstipendium Stiftung Kunstfonds
2007
Barkenhoff-Stipendium, Worpswede, Niedersachsen
2004
Katalogförderung der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Berlin
2002
Arbeitsstipendium Altes Spital - Solothurn, Schweiz
Arbeitsstipendium der Senatsverwaltung für Wissenschaft,
Forschung und Kultur, Berlin
1999 - 2001
Stipendium der Nachwuchsförderung des Landes Berlin
2010
“Plakatieren verboten!“, Kunstverein das weisse haus, Wien, Österreich
2009
„Unabhängig von der Lage“, Cuxhavener Kunstverein, Niedersachsen (K)
2008
„ohne hier ohne da“, Unten Drunter, Malmö, Schweden
2007
„Bist du da?“, Künstlerhaus Bremen, Bremen (K)
„nowhere is everywhere“, Cluster, Berlin
2010
„L’unico / the Only One“, Trieste Contemporanea, Triest, Italien (K)
„Rückkopplungen / Kunst und Lebenswirklichkeiten“, 6. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, NGBK, Berlin
2009
„Zeigen“, ein Projekt von Karin Sander“, Temporäre Kunsthalle, Berlin (K)
„It’s About Time“, Skulpturi DK, Kopenhagen, Dänemark
„Kat 4, Gallery Box“, Göteborg, Schweden
„klein ist relativ“, Galerie Oel-Früh, Hamburg
2007
„Walk!“, Spazierengehen als Kunstform, Kunstraum Kreuzberg, Berlin
“Capital“, Lund 2014, Lund, Schweden (K)
Biwako Biennale 2007, Omihachiman, Japan (K)
„Hardboiled Suburb“, Cluster, Berlin
2006
„What Is The Difference Between Cooperation And Cooperation“, Trottoir, Hamburg (zusammen mit Ingo Gerken)
“Kreisis“, Galerieeigenesschlafzimmer, Berlin
2005
„So oder So“, L.O.F.T., Berlin
2004
"Skulpturen X", GEHAG - Forum, Berlin
2003
"Settings#1", loop - raum für aktuelle Kunst, Berlin
"Das Atmen der Stadt", Haus am Waldsee, Berlin (K)
2002
"Junge Werkstatt", Akademie der Künste, Berlin (K)
2006
„das Rätsel bleibt in seiner Verschiebung am selben Ort“, West Germany, Berlin (K)
2002
„Parasitäre Verhältnisse und Dialoge“, NGBK,
Installation im U-Bahnhof Alexanderplatz U2, Berlin (K)
„Standpunkte unterschiedlicher Sichtweisen“,
Installation im Stadtraum Solothurn, Schweiz
2010
„Unabhängig von der Lage“, Cuxhavener Kunstverein,
Textem Verlag, Hamburg
2007
„Bist du da?“, Plakatfolder, Künstlerhaus Bremen
2006
„das Rätsel bleibt in seiner Verschiebung am selben Ort“, ein Projekt zu Unmerklichem von Stella Geppert, West Germany, Berlin
„Ach so“, Stella Geppert / Objekte / Installationen / Interventionen,
Revolver – Archiv für aktuelle Kunst, Frankfurt am Main
www.stella-geppert.de
www.textem.de
www.revolver-books.de
„nowhere is everywhere“
"Hardboiled suburb"
"New Order"
"Existence in a letter"
"Be one get three"
"Hotel Cluster"
"Alice and Me"
„Vorabzug“