Bernd Trasberger
"Bahnhofstraße 1"
2008
PVC, Lack, Aluminium
240 x 250 x 5 cm
Ausstellungsansicht: "Belvedere", W139, Amsterdam, NL, 2009
"Hertie"
2009
Keramikbausteine, Holz, Messing
374 x 860 x 15 cm
Ausstellungsansicht "Belvedere", W139, Amsterdam, NL, 2009
Ausstellungsansicht: "Stunde Null", Galerie Lena Brüning, Berlin, 2009/2010
Ausstellungsansicht: "Stunde Null", Galerie Lena Brüning, Berlin, 2009/2010
Ausstellungsansicht: "Wir bauen eine neue Stadt", Galerie Lena Brüning, Berlin, 2008
Übung in Dialektik: gleichzeitig Erneuern und Bewahren
Bernd Trasbergers künstlerische Arbeiten kreisen um das Thema der modernen Großstadt und deren
Eigenschaft, sich ständig zu erneuern und dabei Vorhandenes zu überformen, umzudeuten oder
auch spurlos verschwinden zu lassen. Sein besonderes Interesse gilt der heute viel kritisierten deutschen
Nachkriegsarchitektur der sechziger und siebziger Jahre. Der damalige Versuch in West und Ost, einer
durchgreifenden baulichen Rationalisierung und daraus folgenden Typisierung mit neuartigen Kunst-am-
Bau-Maßnahmen zu begegnen, wird heute als gescheitert betrachtet. Bauwerke aus jener Zeit werden inzwischen
ohne größere öffentliche Aufmerksamkeit aus den städtischen Räumen entfernt. Trasberger setzt
jedoch an einem historischen Punkt an, der heute als Fragestellung aktueller denn je erscheint: Was lässt
sich Prozessen der rigiden Ökonomisierung (seinerzeit im Städtebaulichen, um vor allem die vom Krieg
hinterlassenen Baulücken zu schließen) an kulturellen oder künstlerischen Alternativen entgegensetzen?
Zunächst geht es um den Gedanken der Innovation selbst und um die Konsequenzen urbanistischer
Entwürfe, die der Künstler befragt. Anregungen findet er etwa in Arbeiten der italienischen Architektengruppe
Superstudio, die sich in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren kritisch mit der massiven
Überformung der Umwelt durch Megastrukturen auseinandersetzte. In deren Collagen prallen unvereinbare
Lebenswelten aufeinander: streng geometrische Megaformen überstülpen idyllische Landschaften oder
von Rastern überzogene Plateaus stoßen auf naturwüchsige Bergmassive.
Jenes Prinzip des gerasterten Raumes hat Trasberger in zwei seiner Ausstellungsinstallationen übergenommen.
So hat er den White Cube mit regelmäßigen schwarzen Linien überzogen, die eine bühnenartige
Situation kreieren, in der sowohl Kunstwerke als auch Ausstellungsbesucher in ein vereinheitlichendes
räumliches Koordinatensystem eingespannt sind. Hier rührt der Künstler an die Grundvorstellungen urbaner
Gestaltung, die mit jeder Planung den Raum mit immer wieder neuen technischen Verfahren vermisst
und kartografiert. Diesem Akt liegt ein ebenso kreatives wie utopisches Moment zugrunde, das auf der
Annahme beruht, mit dem neuen Entwurf auch neue Lösungen zu finden. Bernd Trasberger ruft diese
Assoziation in uns modernegeschulten Besuchern wach, doch zugleich lenkt er den Blick auf die Kehrseite
dieses prospektiven Denkens: auf Vereinheitlichung und Monotonie.
Diese findet er in den architektonischen Oberflächen; in den uniformen Wohnblockfassaden der Schlafstädte
an der Peripherie oder in den gekachelten Wänden der öffentlichen Innen- und Außenräume. Oft
greift er die Materialien künstlerisch auf, mit denen jene anonymen Durchgangsräume verkleidet werden.
In Werken wie Continuous Monument I (2008), das sich auf eine Collage von Superstudio bezieht, oder A
111 (2007) verarbeitet er verschieden farbige Fliesen. Die an Stadtmöbel erinnernden Skulpturen wecken
mit ihren kalten, glatten Oberflächen vage Erinnerungen an Orte, die namenlos bleiben und die man nur
typologisch benennen kann wie Tunnel, Unterführungen oder Bahnhöfe. In A 111 zeigen die Kacheln
jedoch Spuren ihrer Be- und Abnutzung, da der Künstler sie bei Abrissarbeiten eines Autobahntunnels
an der A 111 geborgen hat. Spur als ästhetisches Verfahren scheint noch in einem weiteren Sinne in den
Arbeiten auf. In Continuous Monument I ist die weiße Kacheloberfläche mit bunten Aufklebern der
achtziger Jahre überzogen, die auf den subjektiven Akt verweisen, sich einen weißen Untergrund bildnerisch
anzueignen. Zeittypische Slogan wie „Ein Herz für Kinder“ oder „Ich fahre bleifrei“ rufen kulturelle
Erinnerungen wach und konservieren zugleich diese Zeitdokumente. In Gentrify (2008) geht der Künstler
ähnlich vor, indem er den gleichlautenden Schriftzug in grellgrünem Neon wie einen ‚tag’ (engl., Bezeichnung
für Graffittikürzel) auf ein gefundenes Straßenschild montiert. Mit dem Bezug auf die Street Art
akzentuiert er heutige Reaktionen auf die Fehlfunktionen urbaner Räume und zeigt eine Umnutzung auf,
die nicht geplant war und die mit ihrer anarchischen Geste gesellschaftlich in der Kritik steht.
Trasbergers Aufmerksamkeit für Spuren sozialer Wandlungsprozesse im städtischen Kontext orientiert
sich am Phänomen der Vergänglichkeit von Dingen, die einst als Inbegriff von Modernität geschaffen
wurden. Er tariert aus, wo einstige Setzungen ihre Aktualität verloren haben und durch neue ersetzt werden.
Seine Arbeiten markieren die Bruchlinien, die ein komplexer und damit schwer greifbarer Paradig-
menwechsel im System gesellschaftlicher Werte hervorruft. In diesem Sinne lässt sich seine großformatige
Wandarbeit Hertie von 2009 interpretieren. In ihr integriert er 80 jeweils 50 x 50 cm große Kacheln aus
der Fassade des inzwischen abgerissenen Hertie-Kaufhauses in Berlin-Neukölln, die er aufwendig aus dem
Betonverbund der Fassade herausgelöst hat. Hierbei handelt es sich nicht nur um Relikte einer unzeitgemäßen
Moderne, sondern auch um Zeugnisse eines entscheidenden Wechsels in der architektonischen
Auffassung jener Zeit. Mit den Ornamentfassaden der sechziger und siebziger Jahre wurde dem modernen
Credo der Einheit von Form und Funktion abgeschworen, denn die Fassaden zeigen nicht mehr die innere
Gliederung des Gebäudes auf. Ihr neu gewonnener semantischer Eigenwert wurde wie bei den Horten-
Fassaden zur ersten Entwicklung einer Corporate Identity genutzt. Mit der Trennung von Form und Funktion
weisen sie auf unsere Zeit voraus, die an diesem Konzept festhält, es jedoch umkehrt: Heute werden
bei symbolisch wichtigen Bauten moderne Stahlbaukörper mit historisierenden Fassaden verkleidet.
Trasberger nimmt in Hertie die ursprüngliche Abfolge der Kachelvarianten auf und unterbricht sie, indem
er Messingplatten in der gleichen Größe unregelmäßig dazwischen setzt. Er füllt damit vorhandene Leerstellen
und entwickelt zugleich die streng seriell gedachte Formensprache weiter, indem er ihr ein ästhetisch
entgegen gesetztes Vokabular hinzufügt. Aus der Ferne betrachtet wirken die metallisch glänzenden
Platten wie eine kryptische Leuchtschrift und erinnern an das Kürzelhafte von tags.
In der Arbeit Stunde Null (2009) wird dieser Ansatz auf die globaleren Dimensionen des gesellschaftlichen
Wandels übertragen. Trasberger hat eine digitale Wanduhr, die von der Außenfassade des ehemaligen Instituts
für Physik der Humboldt-Universität Berlin in der Invalidenstraße stammt und 1989 außer Betrieb
genommen wurde, weil der steuernde Technikraum nicht mehr betrieben werden konnte, mit einem neuen
Ziffernblatt ausgestattet. Hierbei ersetzte er die monochromen Leuchten durch Neonlampen im Regenbogenspektrum,
die er in die vorhandenen Siebensegmentanzeigen für Zeit und Temperatur einfügte. Ohne
den Modus der ursprünglichen Steuerung liegen jetzt alle Zahlen optisch über- oder nebeneinander und
ergeben jeweils die Zahl Acht, als Grundanordnung der Segmente. ‚Stunde Null’ erscheint nunmehr als ein
indifferenter und zeitloser Zustand, der viele Optionen zulässt.
Im Ausstellungsraum der Galerie Lena Brüning Berlin, den der Künstler wie oben beschrieben mit einem
Raster überzogenen hat, ist auf Stunde Null die Arbeit Tabula rasa (2009) dialogisch bezogen. Angeregt
von einer Infotafel im Gebäude der Universität, aus dem die Uhr stammt, hat Trasberger auf einer spiegelähnlichen
polierten Stahlplatte Reste von verschiedenfarbigen abgerissenen Zetteln arrangiert. Ausgehend
von der Anspielung auf das schnelle Veralten von Informationen wird mit der Vervielfältigung der räumlichen
Perspektiven durch den reflektierenden Spiegel die Illusion eines Neuanfangs, der das Vergangene ignoriert,
in Frage gestellt. So denkt Trasberger im künstlerischen wie im gesellschaftlichen Zusammenhang
den sozialen und urbanen Raum von zwei unterschiedlichen Richtungen, indem er ihn als notwendige
Projektionsfläche für zukunftsweisende Konzepte und gleichzeitig als Palimpsest, als Textur aus Überlagerungen
und Durchdringungen versteht.
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geboren in Mönchengladbach lebt und arbeitet in Berlin
1996-2000
Studium freie Kunst an der Gerrit Rietveld Academie, Amsterdam, Niederlande
2000-2002
Studium an der HBK Braunschweig
2010
Deutsche Börse residency program, Kunstverein Frankfurt / Main
2009
Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds, Bonn
2005
Förderpreis für das beste Szenenbild 2006, 26. Internationales Festival der Filmhochschulen, München
2000
Stipendium Schuurman, Schimmel-Van Outeren Stichting, Haarlem, Niederlande
Berlage Fonds, Preis für Absolventen der Gerrit Rietveld Academie,
Amsterdam, Niederlande
2010
"Berliner Mutter", Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin
2009
"Stunde Null", Galerie Lena Brüning, Berlin, (K)
"Patina", Außenprojekt für die Galerie Enrico Astuni, Bologna, Italien
"Belvedere", W139, Amsterdam, Niederlande
2008
"Wir bauen eine neue Stadt", Galerie Lena Brüning, Berlin
2007
"Berlin", CBK Zeeland, Middelburg, Niederlande (mit Ben Sleeuwenhook)
"Standortfaktor", Junge Kunst, Wolfsburg
"Zentrum", Cluster, Berlin
2010
"Imagine the Future", Artisterium, Tbilissi, Georgien (K)
"Stadtgrün", L40, Berlin
"Amsterdam - Berlin", De Service Garage, Amsterdam, Niederlande
2009
"Zeigen – Eine Audiotour durch Berlin von Karin Sander", Temporäre Kunsthalle Berlin (K)
"Berlin 89/09 – Kunst zwischen Spurensuche und Utopie", Berlinische Galerie, Berlin (K)
"It's about time", Skulpturi DK, Kopenhagen, Dänemark
"Software", Zuidas, Amsterdam, Niederlande
"UND 5", Villa Cameline, Nizza, Frankreich
"Klein ist Relativ", Galerie Oel-Früh, Hamburg
2008
"Re-Understanding", De Service Garage, Amsterdam, Niederlande
2007
"Contacts", Le Stand, Lyon, Frankreich
"Champ Vert", Maison Neyrand, Lyon, Frankreich
2006
"Form Follows Fiction", ESTEMP, Düsseldorf
2005
"Around Vondel Lake", public space with a roof, Amsterdam, Niederlande
2004
"Handelsgeest", Groothandelsgebouw, Rotterdam, Niederlande (K)
2002
"Zentralbad", Skulpturenmeile der Stadt Mönchengladbach (K)
2010
"Übung in Dialektik: Gleichzeitig Erneuern und Bewahren", in: Jule Reuter, Bernd Trasberger. Stunde Null, Galerie Lena Brüning, Berlin
2009
"Bernd Trasberger", in : Anna Dyrko, 89/09 – Kunst zwischen Spurensuche und Utopie, Berlinische Galerie, Berlin
"Het verleden in het heden – Bernd Trasberger" in: Jurriaan Benschop: Wonen tussen de anderen – een portet van kunststad Berlijn, Amsterdam, Niederlande
2008
Dorothea Jendricke, „Bernd Trasberger in der Galerie Lena Brüning“, in: Flash Art, Vol. XLI, Okt. 2008, S. 149
Jurriaan Benschop, „Bernd Trasberger“, in: Kunstbeeld, Nr. 9, S. 82
2007
Johannes Wendland: "Damals in Mönchengladbach. Bernd Trasberger rehabilitiert die Kunst am Bau“, in: Zitty, July 2007, S.86
Seit 2003
Dozent an der European Exchange Academy, Beelitz
Seit 2006
Gastdozent an der Gerrit Rietveld Academie, Amsterdam, Niederlande
www.berndtrasberger.de
www.lenabruening.de
"Zentrum"
"Hardboiled suburb"
„Larger than a house smaller than a building"
„Desolation Angels“
"Be one get three"
"Hotel Cluster"
"Alice and Me"
„Vorabzug“